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DAS VERSTELLTE BILD

Diskurs zur Rolle der Kuratoren im Kunstbetrieb

Gesetzt, wir fragen nach einem ge-
meinsamen Grundzug in der aktuellen
bildenden Kunst, so ist dieser — so meine
Spekulation — nicht in den Werken selbst,
als vielmehr in der Art und Weise ihres
Auftretens, im Ansatz ihrer Präsentation
zu suchen. Es gibt kaum eine Ausstellung
ohne seitenstarken Katalog, ohne beglei-
tende, schwerverständliche, kunstwis-
senschaftliche Erörterungen. Erst ver-
mittels eines erläuternden Textes können
die Werke, so scheint es, ihre «Bedeu-
tung» erlangen; erst im Rückprall und
Durchgang über die Refexion eröffnet
sich der Zugang. Das unmittelbare Ein-
treten ist offenbar versperrt, ein Umweg
unumgänglich geworden. Das Anklin-
gen-lassen des je spezifisch-eigenen
«Raumes» durch das Werk allein, ist
ohne die zusätzliche Resonanz und Ver-
stärkung durch das Wort offenbar nicht
stark genug, um sich im anwachsenden
Rauschen jeglich-beliebiger visueller
Produktion noch Gehör zu verschaffen.

Zugang und Stellung zum Werk haben
sich damit grundsätzlich gewandelt.
Das unmittelbare Wahrnehmen und stau-
nende Mitgehen ist ersetzt durch ein vom
Verstand und Wissen geleitetes und ge-
führtes Ansprechen und Erfassen. Der
Betrachter ist nicht mehr sich selbst
überlassen und so erst eigentlich vor sich
selbst gestellt, sondern wird jetzt an
einem vorgespannten Leitband gehalten
und geführt. Ohne diese Führung droht
eine Verirrung ins Weglose; - eine laby-
rinthische Verstrickung. Einer solchen
Ungewissheit kann und soll der «Kunst-
Konsument» aber nicht ausgesetzt
werden.

Die Kunstwerke befindet sich somit
in einem veränderten Umfeld. Sie
verliert an Eigenständigkeit und unter—
stellen sich dem Joch der Vermittlung mit
den ihr eigenen Bedingungen (Verwertung).
Den Kunstschaffenden zugestellt
sind die Kuratoren, die sich «mit ein-
bringen» und möglichst wirkungsvoll
«sich-selbst-mit-zur Geltung-bringen».
Die Stellung des vermittelnden Zutrags
geht über ein vor- und umsichtiges
Hinweisen hinaus und behauptet sich
als autonome Disziplin.
Bei allem anerkennenden Zurücktreten vor
dem Werk, gehört aber zu einer erklären—
den Auslegung und zur Anmessung sei-
nes Ranges auch die Beanspruchung des
Rechts und der Kompetenz, das Werk erfas-
sen zu können und ein gültiges Urteil
zu vollziehen und dem Werk zu erteilen.
Die Kuratoren wissen sich - obzwar
nicht in der Leistung, so doch in der Beurteil-
ungsfähigkeit des Vorliegenden dem
Künstler, der Künstlerin ebenbürtig,
wenn nicht gar überlegen.

Die Kunstschaffenden, die sich dieses
Umstandes bewusst sind, lassen sich
nicht länger von ihren «Faszinationen &
Ahnungen» leiten, sondern kalkulieren diese
neuen Bedingungen mit in ihr Schaffen
ein. Wach dem Ton der Kuratoren zuge-
want, stimmen sie ihre Arbeiten auf
den vorherrschenden Klang ab, vorsichtig
darauf bedacht, diesen zu ergänzen und
zu erweitern, ohne den abgesteckten
«Klangraum» zu stören oder gar aufzu-
brechen. Viele Künstler/innen sind heute
kreative Interpreten; - Konzept und Partitur
liegt in den Händen der Kuratoren; -
Melodie und Rhythmus sind vorgegeben.

Die Nähe, die sich aus dem Zusammen-
rücken von Künstlern und Kuratoren
ergibt, schafft eine andersartige Situation
für den Betrachter, der nun gleichsam vor
ein Zweiergespann gestellt ist. Er weiss
den Kurator nicht mehr auf der Seite des-
sen, der von «aussen» an das Werk her-
antritt, denn jetzt spricht dieser auf der
Seite des Werkes, als ein Bestandteil von
diesem. Dieser Zusammenschluss fördert
einen Diskurs, eine Auseinandersetzung,
die sich streng innerhalb der «Sprache
der Kunst» hält und sich nach der ihr
eigenen Syntax richtet und ausrichtet.
Ein solcher «kunst-immanenter Diskurs»
fördert seinerseits die strikte Scheidung,
was «dazugehört» und was «ausserhalb
liegt». Situierung und Inhalt der Kunstwerke
werden zunehmend zu einer Selbstbefra-
gung der Kunst als solcher in ihrer ge-
schichtlichen Bedingtheit, ausgelegt am
Leitfaden einer vorherrschenden Inter-
pretation dieser ihr eigenen Geschichte.
Der hier Aussenstehende kann der Argu-
mentation und der Wahl der Kriterien
kaum folgen, überlässt sich entweder
dem «Wissen der Experten» oder aber
sein Interesse schwindet in dem Masse,
wie seine Betroffenheit nachlässt. Was
als Vermittlung zur Öffentlichkeit auftritt,
hat sich zur autonomen Disziplin gewan—
delt, die sich bewusst von einer Allge-
meinverständlichkeit abheben will. Die
Gräben, welche durch die Radikalität der
Kunst der Neuzeit aufgerissen wurden,
werden so noch weiter vertieft.

Ein Diskurs aber, der sich darauf ent-
wirft, die Kunst mit Hilfe von Begriffen
zu gründen und zu begründen,
wird das Wesen der bildenden Kunst
verfehlen, denn das Wesen der «schaf-
fenden Bildung», das Entwickeln und Ent-
falten einer je eigenen "Bildwelt", lässt sich
mit Worten nicht fassen und festschreiben.
Gerade hier, wo eine «andere Wirklichkeit»
zum Erscheinen gebracht wird, die sich
von der Wirklichkeit als etwas Vorhandenes,
Existierendes, als ein fassbar Gegen-
ständliches unterscheidet und abhebt,
greift jedes Erklärenwollen ins Leere,
denn gerade dieses «Sich-nicht-Festset-
zen-Lassen», dieser Entzug der Be-
stimmbarkeit, ist der bildenden Kunst
eigen und also wesentlich und kann nicht
mittels einer Theorie rationalisiert werden.

Wie also schreiben und sprechen
«über» die Kunst?

Vielleicht im Wecken einer Bereit-
schaft zum «Staunen», als Stimmung
und Befindlichkeit vor dem, was sich
gibt und nicht erklären lässt. Vielleicht in
einem Heraustreten und Abrücken von
der distanznehmenden, analytisch-kriti-
schen Position der Kunst gegenüber; -
sich auf diese einlassend, ohne nach
einem konkreten Inhalt greifen und
diesen festschreiben zu wollen.
Vielleicht im Hinweisen auf den Strudel
von Deutungsmöglichkeiten und der
Erschütterrungen der geläufigen Wahr-
nehmungsmuster, die vom Werk
ausgelöst werden.
Sicher aber im Vermeiden von
Einordnungen in vorgeprägte Schemas
und Kategorien. Im Verzicht auf ein ab-
schliessendes Erklärenwollen und den
Anspruch auf ein gültiges Urteil.

Not tut, dass die Kritik sich wieder auf
die Seite des Betrachters schlägt und
Hand reicht zu einer echten Vermittlung,
damit die Kluft nicht noch tiefer auf-
reisst. Not tut aber auch, dass die Kunst-
schaffenden sich freimachen von der
«intellektuellen Bevormundung», um
sich so erst der Offenheit auszusetzen,
um tastend-entwerfend diese auffalten
zu können.

Andere Wege sind freizulegen, welche
die prägenden Bahnungen des «kunst-
immanenten Diskurses», der nurmehr auf
sich selbst bezogen seine eigene "Voll-En-
dung" zelebriert, hinter sich lässt und auf
das Andere, erst Mögliche zugeht, — das
«gesetzte Wirkliche» aufschiebt und sus-
pendiert —, auch wenn so Wirkung und
Erfolg nicht absehbar sind und jeder
Schritt auf dieser Spur jäh abzubrechen
und hinfällig zu werden droht.

Theo Spinnler. 2005